Bürgerbeteiligung Wahlrecht

Niedrige Wahlbeteiligung: Hamburg braucht eine Parlaments- statt einer Wahlrechtsreform

 

Quelle: "Hamburgische Bürgerschaft"
Quelle: „Hamburgische Bürgerschaft“

Die Wahlbeteiligung bei den Hamburger Bürgerschaftswahlen ist um 0,4% auf 56,9% gesunken und gleich stimmt die SPD wieder das Lied vom „komplizierten Wahlrecht“ an, welches angeblich daran schuld sein soll. Ich will in diesem Beitrag dafür werben, die Ursachen der Wahlenthaltung tiefer auf dem Grund zu gehen.Natürlich sehe ich die sinkenden Wahlbeteiligung auch mit Sorge, doch gibt es aus meiner Sicht andere Gründe dafür, als das Hamburger Wahlrecht. Bei Sichtung der Ursachen, kommt man nicht umhin darüber nachzudenken, wie das Parlament und damit die Demokratie zwischen den Wahlen wieder so interessant wird, dass Wählen für mehr Hamburgerinnen und Hamburger interessant ist.

1. Durch die Senkung des Wahlalters von 18 auf 16 Jahren gab es ca. 2,5% mehr Wählende bei der Bürgerschaftswahl. Allgemein ist aber die Wahlbeteiligung bei den Jungwählern erheblich niedriger als im Durchschnitt. Dadurch war klar, dass die Wahlbeteiligung allein durch diesen Effekt leicht senken würde. Bürgerschaft und Statistisches Landesamt haben vereinbart, in einer speziellen Stichproben-Statistik das Wahlverhalten der 16-18 Jährigen zu untersuchen.

2. Der Bürgerschaftswahlkampf 2015 war nicht spektakulär, es gab weder eine Wechselstimmung noch Themen, die massiv die Gemüter in der Breite der Stadt erhitzt haben. Dadurch war der Wahlausgang für die Hamburger einigermaßen vorhersehbar, entweder SPD-Alleinregierung oder eine SPD-geführte Koalition. Diese Ausgangssituation hat nicht dazu beigetragen, eine spannende Wahlstimmung herbeizuführen.

Stimmzettel

3. Das neue Hamburger Wahlrecht hat nichts mit den o.g. Problemen zu tun. 73% der Nichtwähler haben bei einer Befragung im Auftrag der Hamburger Bürgerschaft in 2011 geäußert, dass das neue Wahlrecht nicht ursächlich für ihre Wahlenthaltung war. Sondern: 1. das scheinbar „vorab fest stehende Wahlergebnis“ 2. Auch allgemeineren Motive wie der „Nichtansprechung durch den Wahlkampf“, 4. die „Kandidaten überzeugen nicht“ und 5. „keine Partei vertritt die individuellen Interessen“ wurde von der Mehrheit der Nichtwähler zugestimmt (s. Kapitel 8.2.).

4. Alle Parteien wissen seit Jahren, dass gerade Hamburger mit sozialen Problemen sich unterproportional  an  Wahlen beteiligen. Und wer als Abgeordneter mit Menschen spricht, erfährt auch recht schnell, dass ein wichtiger Grund für die Wahlenthaltung ist, dass aus Sicht der Nichtwähler keine der Parteien einen wirklichen Lösungsweg für ihre sozialen Probleme anbietet. Im Umkehrschluss verhalten sich dann diese Nichtwähler einfach rational. Aktuell spricht das Landesamt für Statistik folgende lange bekannte Wahrheit aus: Statusniedrige Wohngebiete mit relativ häufigem Hilfebezug und niedrigem Durchschnittseinkommen sind dagegen durch eine geringe Wahlbeteiligung gekennzeichnet. „

Was folgt nun daraus? Einfach so weitermachen? Wahlrecht ändern, weil uns die wirklichen Ursachen zu mühselig sind?

Abrechnung mit SPD-JustizpolitikDie ersten beiden von mir beschriebenen Ursachen für die niedrigere Wahlbeteiligung sind der politischen Situation geschuldet. Punkt 3 – das Hamburger Wahlrecht – ist bewiesenermaßen nicht die eigentliche Ursache.

Ich glaube fest daran, dass wir Parlamentarier in der Bürgerschaft darüber nachdenken müssen, ob diese Hamburger Art der Demokratiepraxis noch zeitgemäß ist. Kurz vor Weihnachten gab es im Hamburger Abendblatt auch schon eine rege Debatte zwischen allen Fraktionen, was man denn ändern könnte oder sollte.

Hier einmal ein paar aus meiner Sicht nennenswerte Vorschläge, die sich die neu gewählten Bürgerschaftsabgeordneten mal genauer ansehen sollten:

  1. Die Bürgerschaft soll statt 2-wöchentlich zukünftig wöchentlich tagen (CDU)
  2. Die Plenarsitzung sollen nicht erst nachmittags um 15 Uhr, sondern schon morgens oder mittags beginnen (CDU)
  3. Reden am späten Abend können auch zu Protokoll gegeben werden, dann wäre mehr Zeit für die wirklich spannenden Debatten (SPD)
  4. Redezeitverkürzung für Abgeordneten und Senatoren (CDU)
  5. Wiedereinführung einer Bürgermeister/Senatoren-Fragestunde (CDU)
  6. Vollzeit- statt Teilzeitparlament = weniger Abgeordnete (Grüne)
  7. Einführung eines Online- BürgerschaftsTV mit den wichtigsten Debatten abrufbar in einer Mediathek (Farid Müller)
  8. Ermöglichung von freier TV-Liveübertragung von spannenden Ausschusssitzungen (Farid Müller)
  9. Einführung von Online-Petitionen angebunden an die Hamburger Bürgerschaft wie beispielsweise  in Bremen und Thüringen (Grüne)

Und natürlich sollten wir Parteien endlich daran gehen, die Langzeitarbeitslosigkeit in unserer Stadt an den Wurzeln zu packen und zu lösen. Erst bei konkreten Vorschlägen mit einer Umsetzungsoption haben viele Menschen wieder einen Grund, wählen zu gehen, weil sich dann ihr Leben verbessern könnte.

Diskutieren Sie mit mir gerne Ihre Sicht auf Wahlmüdigkeit, Wahlrecht und Hamburger Parlamentsbetrieb, ich freue mich auf Ihre Kommentare!

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1 Kommentar Neues Kommentar hinzufügen

  1. Holger Derichs sagt:

    Hallo Herr Müller,
    vielen Dank für Ihr Engagement zu diesem m.E. sehr wichtigen Thema.
    Aus meiner Sicht kommt zu den oben genannten Problemen noch ein wichtiger Faktor hinzu: Auch als politisch interessiert Wähler hat man den Eindruck, von den Parteien nicht ernst genommen zu werden. Nur mal ein Beispiel: Wenn noch nicht einmal die Grünen es schaffen Ihre Kandidaten für die Landesliste ausreichen zu präsentieren, was nützt dann das neue Wahlrecht? Unter ausreichend verstehe ich zumindest mal ein Foto für jeden Kandidaten und eine persöhnliches Statement, welche Schwerpunkte der Kandidat setzen würde bzw. wo seine besondere Kompetenz liegt. Und das bei einer Wahl, wo es doch nur um Kandidaten und gewählt werden geht. Das dann nach der Wahl erst Recht kaum Interesse am Bürger gezeigt wird passt dann auch ins Bild.
    Nur um das klar zu stellen: Sie meine ich damit nicht, Ihr Engagement zu informieren und Kontakt zum Bürger zu suchen ist sicher vorbildlich und wurde ja zum Glück auch belohnt.

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